Das Wissenschaftliche Netzwerk Grundlagen der Flüchtlingsforschung bringt 14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für sechs Arbeitstreffen zusammen, um in einer kontinuierlichen Debatte die Herausforderungen zu eruieren, die zentrale Begriffe und Konzepte, Interdisziplinarität, Theorie und Praxis, Aushandlungsprozesse und Analyserahmen sowie Normativität und Ethik in der Flüchtlingsforschung aufwerfen.
I.) Wer ist ein Flüchtling? Fach- und akteursspezifische Implikationen des Flüchtlingsbegriffs
Datum: 4.-5. Juni 2015
Ort: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Osnabrück
Organisatoren: Dr. Marcel Berlinghoff, Dr. Patrice Poutrus, Prof. Dr. Albert Scherr.
Thema: Wer Flüchtling ist oder was einen Flüchtling ausmacht, ist alles andere als eindeutig. Völkerrechtliche Standards stehen neben wissenschaftlichen Definitionen und nationalen Rechtsetzungen. Unterschiedliche Begriffsverständnisse befeuern politische Auseinandersetzungen und erschweren Interdisziplinarität.
Die Diskussion darüber, was ein Flüchtling ist, bzw. wer als solcher bezeichnet wird, ist also einerseits interdisziplinär zu stellen, um Missverständnissen im wissenschaftlichen Austausch vorzubeugen und den jeweiligen Analyserahmen zu verdeutlichen. Eine Verständigung über den Kernbegriff der Flüchtlingsforschung und seine Kategorisierung nimmt darüber hinaus das Verhältnis von Theorie und Praxis in den Blick: Sowohl in der Wissenschaft als auch in der öffentlichen Debatte treffen normative Implikationen auf empirische Vielfalt, was eine genaue Begriffsanalyse erfordert. Nicht zuletzt hat die bisweilen nur schwach reflektierte Übernahme von Bezeichnungen aus theoretisch-wissenschaftlichen Kontexten in die administrative Praxis elementare Folgen für die Betroffenen. Das Bewusstsein für die Ambiguität des Flüchtlingsbegriffs und die ethisch-normativen Dimensionen seiner Bestimmung erleichtert somit den Umgang mit den vielfältigen Theorie/Praxis-Transfers in diesem Bereich und trägt zur Analyse politischer Aushandlungsprozesse bei, die am Flüchtlingsbegriff kulminieren. Es sind zentrale Fragen zu den Grundlagen der Flüchtlingsforschung.
Fragestellungen:
– Wie unterscheiden sich die spezifischen disziplinären Perspektiven der Flüchtlingsforschung auf ihr Untersuchungsobjekt? Wo liegen ihre Schnittpunkte und Divergenzen?
– Wie gestaltet sich der Transfer von wissenschaftlich-theoretischen Flüchtlingsdefinitionen in die politische Diskussion bzw. in den allgemeinen Sprachgebrauch?
– Wie verhält sich das Verständnis von Flucht und Migration in wissenschaftlicher Theorie zur empirischen Praxis?
– Wie beeinflussen sich administrative Kategorien und subjektive Strategien von Migrantinnen und Migranten bzw. Flüchtlingen gegenseitig?
Dokumentation:
- Programm des Arbeitstreffens
- Video des Gastvortrags “Wer oder was ist eigentlich ein Flüchtling? Perspektiven auf Migration aus linguistischer Sicht” ( Prof. Dr. Thomas Niehr )
II.) Geschichte und Gedächtnis in der Flüchtlingsforschung
Datum: 30.-31. Oktober 2015
Ort: Refugee Studies Centre, University of Oxford, UK
OrganisatorInnen: Dr. J. Olaf Kleist, Dr. Nora Markard, Dr. Patrice Poutrus.
Thema: Trotz einiger sporadischer Werke zur Geschichte internationaler Flucht und des Flüchtlingsschutzes (Gatrell 2013; Marrus 2002), sind diese Themen, ähnlich wie das Thema Migration überhaupt (Esch und Poutrus 2005), nahezu abwesend in der Geschichtswissenschaft. Während die Vertreibung von Deutschen in der nationalen Geschichtsschreibung und als deutscher Erinnerungsort präsent sind, bleiben Debatten um deutsche Asylpolitik, wie um die Asylrechtsreform, und noch viel weniger globalgeschichtliche Fluchtbewegungen oder Institutionen des Flüchtlingsschutzes unbeachtet. Somit fehlt nicht zuletzt die Geschichtswissenschaft auch in der multidisziplinären Flüchtlingsforschung, welche in ihrer traditionell präsentistischen Praxisorientierung historische Zugänge weitgehend ignoriert. Damit fehlt der Flüchtlingsforschung in den nicht-historiographischen Disziplinen oft nicht nur eine über das Anekdotische hinausgehende historische Perspektive, sondern vielfach auch das methodische Instrumentarium für historiographische Recherchen. So soll dieses Arbeitstreffen unter anderem einen Austausch über die Methoden, Relevanz und Probleme historiographischer, wie Archivforschung zum Themenfeld Flucht und Zwangsmigration ermöglichen.
Vergangenheit soll hier insofern als ein wichtiger Analyserahmen für die Flüchtlingsforschung thematisiert werden. Dabei geht es sowohl um ein Verständnis der historischen Entwicklung zentraler Begriffe und Konzepte als auch der Institutionen, Akteure und Regime, in denen Flüchtlingspolitik und -gesetze ausgehandelt werden. So lässt sich zum einen im Sinne eines Policy-Tracing die Entstehung bestimmter Flüchtlingspolitiken bestimmen und zum anderen im historischen Vergleich eine Lehre aus der Vergangenheit für gegenwärtige Herausforderungen ziehen. Neben dieser Praxisrelevanz sollen aber zugleich die epistemologischen Grenzen einer historischen Flüchtlingsforschung ausgelotet werden und eruiert werden, inwiefern sozio-politische Rahmenbedingungen Vergangenheitsrekonstruktionen beeinflussen (Kleist 2013). So sollen beispielsweise auch post-koloniale Traditionen in der historischen Wahrnehmung von internationaler Flucht reflektiert werden. Schließlich stellen sich aber auch ethische und normative Fragen in der Einbeziehung der Vergangenheit in die Flüchtlingsforschung, wie die mögliche Begründung von Flüchtlingsschutz als eine Form von historischer Gerechtigkeit (Souter 2014).
Das Arbeitstreffen soll dazu dienen, diese Fragen systematisch zu untersuchen und damit Impulse für eine historiographisch sensible Flüchtlingsforschung in Deutschland zu legen. Indem das Treffen am Refugee Studies Centre (RSC) der Universität Oxford durchgeführt wird, dem weltweit führenden Institut in diesem Forschungsfeld, können mehrere prominente internationale Flüchtlingsforscherinnen und -forscher in die Diskussionen mit eingebunden werden und deren Erfahrungen mit historiographischer Forschung mit dem Netzwerk geteilt werden. Das Arbeitstreffen schließt damit auch an die Vorlesungsreihe zum Thema ‚The History of Refuge‘ am RSC im Frühjahr 2015 an. Das in Oxford durchzuführende Arbeitstreffen soll so die Grundlage für weitere Kooperationen der Netzwerkmitglieder mit Mitgliedern des RSC bilden.
Fragestellungen:
– Welche Rolle spielen Vergangenheitsbezüge in nationaler und internationaler Flüchtlingspolitik?
– Wie erinnern Flüchtlinge ihre Flucht und welchen Einfluss hat dies auf ihre Zugehörigkeit zum Herkunfts- bzw. zum Zufluchtsland?
– Was kann die Geschichtswissenschaft zur Flüchtlingsforschung in anderen Disziplinen beitragen? Wie kann eine historiographische Perspektive zum Verständnis von Fluchtsituationen und Flüchtlingspolitik beitragen?
– Welche geschichtswissenschaftlichen Methoden können zur Flüchtlingsforschung beitragen und an welche Grenzen stößt sie?
Dokumentation:
- Programm des Arbeitstreffens
- Podcast (Soundcloud) des Gastvortrags: “Impacts of forced migrations – the German case. History, historical research, and policies of remembrance “, Prof. Dr. Michael Schwartz
III.) Gewalt und Normativität: Gewaltphänomene unter und gegen Flüchtlinge
Datum: 17.-19. Februar 2016
Ort: Zentrum für Konfliktforschung, Philipps-Universität Marburg
OrganisatorInnen: Dr. Sybille De La Rosa, Dr. Ulrike Krause, Prof. Dr. Jürgen Bast.
Thema: In der internationalen Zwangsmigrations- und Flüchtlingsforschung heben aktuelle Studien hervor, dass fliehende Personen und Flüchtlinge mehrdimensionalen Gewaltformen ausgesetzt sind. Einerseits wird sich auf personen- und gruppenspezifische Formen bezogen, die u.a. strukturelle und kulturelle Diskriminierung, physische Unsicherheit und geschlechterspezifische Gewaltübergriffe einbeziehen, was insbesondere in der Politikwissenschaft und den Internationalen Beziehungen, der Ethnologie und der Soziologie diskutiert wird (Ferris 2007; Jacobsen 1999; Lischer 1999). Andererseits wird Gewalt als Macht- und Herrschaftsphänomen im Flüchtlingskontext verstanden, die auf lokalen, nationalen und internationalen Ebenen durch restriktive Politiken, Rechtslagen und -zugängen aufscheinen (Betts 2013; Krause 2013; Loescher 1996). Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Darstellung der Flüchtlinge als hilflose und passive Opfer (Zetter 1991, 2007) und auf die Lebenswirklichkeiten der Flüchtlinge (Kaiser 2006), sondern auch auf begrenzte nationale Rechtsordnungen. Im Allgemeinen wird sich in einem demokratischen Rechtsstaat dabei auf das Recht verlassen. Wenn sich aber herausstellte, dass die bestehende demokratische Rechtsordnung für den Schutz gewisser Menschengruppen ungenügend ist bzw. selbst zur Gewalt gegen diese Gruppe beiträgt, dann stellt sich die Frage, wer in der Lage ist, die Ausfallbürgschaft zu übernehmen. Dieser Problemen und der Entwicklung möglicher Handlungsalternativen nehmen sich insbesondere politische Theoretikerinnen und Theoretiker an (Arendt 2009; Baumann 2005).
Im Rahmen dieses Arbeitstreffens sollen demnach insbesondere zwei Fragenkomplexe diskutiert werden: Einerseits die Mehrdimensionalität der Gewalt im Flüchtlingskontext und im bestehenden Flüchtlingsschutz, und andererseits das Wechselspiel von positivem Recht, den Rechtswissenschaften und der Politischen Theorie. Das interdisziplinäre Arbeitstreffen wird entsprechend dieser Komplexe gegliedert. Die Teilnehmenden werden am ersten Tag diskutieren, ob der Begriff der Flüchtlingsräume aus politikwissenschaftlicher, soziologischer und psychologischer Perspektive als Gewaltraum gefasst werden kann, wie die Komplexität(en) der multidimensionalen Gewaltphänomene aus den Perspektiven der unterschiedlichen Disziplinen wissenschaftlich berücksichtigt und aufgearbeitet werden, welche historische Entwicklung der Gewaltforschung sich beobachten lässt und welche Forschungslücken existieren. Am zweiten Tag werden das Potential und die Grenzen des Rechts, auf die Gewalterfahrungen von Flüchtlingen mit der Bereitstellung von rechtlich definierten Schutzräumen (Asyl) und einem internationalen Schutzstatus zu reagieren, thematisiert. Auf einer metatheoretischen Ebene wird das Wechselspiel von Rechtspraxis zu den normativen Wissenschaften, insbesondere der Rechtswissenschaft und der Politischen Theorie thematisiert. So wird zu diskutieren sein, ob es nicht insbesondere mit Blick auf die Flüchtlingsforschung sinnvoll ist, die Politische Theorie als kritische Beobachterin der Rechtspraxis zu verstehen, welche nicht nur analysiert, sondern auch normative Modelle entwickelt, welche dann wieder in nationalen, europäischen und internationalen Rechtsnormen ihren Niederschlag finden können. Auf diese Weise kommen auch das Wechselspiel von Theorie und Praxis ebenso wie die Prozesse des Aushandelns von Interessen in den Blick. Schließlich werden beide Bereiche in der letzten halbtägigen Sitzung zusammengeführt und abschießend diskutiert.
Fragestellungen:
– Welche Gewaltformen wirken auf Flüchtlinge und werden in der Flüchtlingsforschung berücksichtigt? Welche Schutzkonzeptionen können durch neue theoretische Konzepte erschlossen werden?
– Wie gehen die unterschiedlichen Disziplinen mit den Gewaltphänomenen um und welche Herangehensweisen nutzen sie?
– Lassen sich die Disziplinen so zueinander in Beziehung setzen, dass sich eine produktive gemeinsame Forschungsrichtung abzeichnet?
Vorgehen / Organisation: Um der Diskussion bei diesem Workshop Vorrang einzuräumen, werden Diskussionspapiere vorab zirkuliert, die an den ersten beiden Tagen die Grundlagen für themenspezifische (s.o.) Auseinandersetzungen bieten.
IV.) Flüchtlingsforschung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis
Datum: 21. – 22. April 2016
Ort: Hochschule Hannover
Organisatorinnen: Prof. Dr. Helen Schwenken, Prof. Dr. Cordula von Denkowski.
Thema: Ein relevanter Anteil der Flüchtlingsforschung ist direkt oder indirekt mit staatlichen Behörden, NGOs oder internationalen Organisationen verbunden (Binder und Tošić 2002). Die spezifisch disziplinäre – und epistemologische – Verortung lässt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler allgemein sowie die am Netzwerk Beteiligten im Besonderen unterschiedliche Perspektiven einnehmen: Die Orientierung am Subjekt oder dem Einzelfall ist sowohl in der Rechtswissenschaft als auch in der Psychologie und Sozialarbeitswissenschaft relevant, gestaltet sich jedoch unterschiedlich; die Einnahme einer soziologischen Beobachtungsperspektive unterscheidet sich von der ebenfalls soziologischen oder politologischen Perspektive eingreifender Wissenschaft sowie der Relevanz von Normativität in den Rechtswissenschaften oder der Politischen Theorie. Die Nachfrage von Politik und Praxis nach wissenschaftlicher Expertise zu Flüchtlingen ist für die ihr Wissen zu Verfügung stellenden Expertinnen und Experten immer auch mit der Unkalkulierbarkeit verbunden was mit diesem Wissen passiert, wie es verwendet wird (Lamott 2002; Kropp und Kuhlmann 2014).
Auch ist das Verhältnis zwischen Forschenden und den Subjekten der Forschung aufgrund der spezifischen Situation Geflohener (Einschränkung von Bewegungsfreiheit, unklare Zukunftsplanung, Traumatisierung, belastende soziale Situation, unbegleitete minderjähre Flüchtlinge etc.) und des ungleichen und Fluchtgründe generierenden Nord-Süd-Verhältnisses im Vergleich zu anderen Forschungssituationen besonders asymmetrisch (Chimni 2009). In welchem Ausmaß dieses in den Disziplinen epistemologisch und begrifflich reflektiert wird und methodologisch in den Analyserahmen eine Rolle spielt, ist höchst unterschiedlich.
Beide Charakteristika des Forschungsfeldes werfen grundlegende epistemologische, forschungspraktische und politische Fragen auf, die im Rahmen des Workshops behandelt werden sollen.
Fragestellungen:
– In welchem Zusammenhang stehen die Darstellung von Flüchtlingen in Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft mit dem Umgang mit Flüchtlingen im Alltag, durch Hilfsorganisationen und in Bürokratien? Welchen Einfluss haben solche Darstellungen auf das Selbstbild sowie die Selbstorganisation von Flüchtlingen?
– Welche ethischen und epistemologischen Herausforderungen ergeben sich aus dem spezifischen Wissenschaft-Politik-Praxis-Verhältnis? Welche diesbezüglichen Positionierungen nehmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen und epistemologischer Verortung ein und wie begründen sie diese?
– Welche spezifischen methodischen Zugänge wurden in der internationalen und interdisziplinären Flüchtlingsforschung entwickelt, die dem asymmetrischen Verhältnis zwischen Forschenden und „Beforschten“ Rechnung tragen? Wie lässt sich ein objektivierender und essentialisierender Blick auf Geflüchtete vermeiden? Sind spezifische, v.a. in der Soziologie, Sozialanthropologie und Sozialarbeitswissenschaft entwickelte partizipative Methoden bspw. auch in der Zusammenarbeit mit Juristinnen und Juristen produktiv zu denken? Wo geraten partizipative Methoden an ihre Grenzen?
V.) Menschenrechte und Flucht
Datum: 28.-29. Oktober 2016
Ort: Hochschule RheinMain, Wiesbaden.
OrganisatorInnen: Dr. Karin Scherschel, Prof. Dr. Anna Lübbe, Prof. Dr. Albert Scherr.
Thema: Globale und europäische Normen und Rechtsstrukturen haben längst Eingang in nationale Gesetzgebungen, Entscheidungsprozesse und alltägliche Deutungen gefunden. Das Thema Menschenrechte und Flucht ist im Schnittfeld der Netzwerkthemen Aushandlungsprozesse, und Analyserahmen, Begriffe und Normativität/Ethik angesiedelt. Die Rolle der Menschenrechte ist ambivalent. Menschenrechte können sowohl als Legitimationsstrategie für kriegerische Interventionen als auch als Basis einer Herrschaftskritik genutzt werden. Damit sind unmittelbar Fragen der Ethik und Normativität angesprochen. Die Implementierung globaler Normen und Strukturen, ihre Lokalisierung in spezifischen Kontexten und ihren Bedeutungswandel sind bislang kaum untersucht. Sie bedürfen eines interdisziplinären Zugriffs, da eine Analyse sowohl rechtswissenschaftliche, politikwissenschaftliche, geschichtswissenschaftliche als auch soziologische Deutungskompetenz fordert. Im asyl- und migrationspolitischen Kontext muss reflektiert werden, dass zwischen Menschen- und Staatsbürgerschaftsrechten ein Spannungsverhältnis existiert: Beide folgen verschiedenen Rechtfertigungsordnungen und Distributionslogiken. Die Umsetzung globaler Normen im Kontext von Asyl- und Fluchtmigration ist Ergebnis von Aushandlungsprozessen, an denen verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Ressourcenausstattungen und divergierenden Interessen beteiligt sind. Das Arbeitstreffen befasst sich aus interdisziplinärer Perspektive mit der ambivalenten Rolle der Menschenrechte und ihrer Gestaltungsmacht im Kontext der Asyl- und Fluchtmigration.
Fragestellungen:
– Wie können die Aushandlungsprozesse, die im Kontext des Spannungsverhältnisses von universellen Normen und partikularen Interessen entstehen, interdisziplinär analysiert werden?
– Wie werden diese gesellschaftspolitisch bearbeitet?
– Inwieweit fließen divergierende politische Interessenkonstellationen in die Definition von Flüchtlingen ein?
– Wie werden transnationale Normen in lokalen Politisierungsprozessen aufgegriffen.
VI.) Die Aushandlung von Zwangsmigration
Datum: Frühjahr 2017
Ort: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Osnabrück.
Organisatoren: Prof. Dr. Jochen Oltmer, Dr. Boris Nieswand.
Thema: Individuelles und kollektives Handeln von (potentiellen) Migrantinnen und Migranten unterliegt Kontroll-, Steuerungs- und Regulierungsanstrengungen unterschiedlicher institutioneller Akteure. Sie beschränken oder erweitern die Handlungsspielräume bzw. die Agency von Individuen oder Kollektiven, mithilfe von Bewegungen zwischen geographischen und sozialen Räumen Arbeits-, Erwerbs- oder Siedlungsmöglichkeiten, Bildungs- oder Ausbildungschancen zu verbessern bzw. sich neue Chancen zu erschließen. Die Versuche der Einflussnahme reagieren auch auf beobachtete Handlungsweisen von Migrantinnen und Migranten auf konkurrierende Kontroll-, Steuerungs- und Regulierungsanstrengungen anderer institutioneller Akteure sowie auf durch Migrationsprozesse induzierten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandel. Die Kontroll-, Steuerungs- und Regulierungsanstrengungen institutioneller Akteure können Freiheit und Freizügigkeit von Einzelnen oder Kollektiven so weit beschränken, dass Formen von Zwangsmigration die regionale Mobilität dominieren. Folgt man einer solchen Perspektive, bilden Fluchtbewegungen und Vertreibungen Erscheinungsformen von Migration. Sie unterliegen einem Prozess der Aushandlung durch eine Vielzahl individueller und kollektiver Akteure. In dessen Rahmen werden spezifische räumliche Bewegungsmuster als ‚frei’, andere hingegen als ‚unfrei’ verstanden. Die begriffliche Unterscheidung von ‚freiwilliger’ Migration und Zwangsmigration beinhaltet mithin praktische, rechtliche und politische Konsequenzen. Die Flüchtlings- sowie die Migrationsforschung sind aufgerufen, diesen Prozess der Aushandlung interdisziplinär zu analysieren und dabei Analyserahmen zu entwickeln, um Antworten zu formulieren auf die grundlegende Frage, in welchen Konstellationen und Beziehungen, aus welchen Gründen, in welcher Weise, mit welchen Praktiken sowie mit welchen Konsequenzen Flucht, Vertreibung und andere Formen der Zwangsmigration produziert und von anderen Formen der Migration abgegrenzt werden.
Fragestellungen:
– Wie kann gegenüber dem Objektivismus, mit dem „Flucht“ oder „Zwangswanderungen“ häufig thematisiert werden, wissenschaftlich differenziert werden?
– Was sind die Bedingungen, Formen und Folgen der Aushandlung von Migration?
– Welche Rolle spielen staatliche, wissenschaftliche und öffentliche Kategorisierungen verschiedener Migrationsformen?