Medienberichterstattung über syrische Staatsfolter: Die Chance für eine neue Perspektive auf Geflüchtete

Die voraussichtlich noch länger anhaltende Berichterstattung über den gerade erst begonnenen Strafprozess vor dem OLG Koblenz gegen zwei mutmaßlich an der Staatsfolter in Syrien Beteiligte birgt eine besondere Chance: Mit Bedacht durchgeführt, könnte die Darstellung in den Medien eine stärkere Sensibilisierung für konkrete Einzelschicksale bewirken und vor Augen führen, weshalb viele Syrer*innen ihre Heimat verlassen mussten. Vor diesem Hintergrund greift der Beitrag die Rolle der Medien und den Charakter einiger bisheriger Berichte über Geflüchtete auf, um gerade angesichts des bisweilen „desintegrativen“ Charakters bestehender rechtlicher Integrationsregelungen zu mehr Ausgewogenheit in der Medienberichterstattung zu motivieren.

 

 

Ein besonderes Verfahren

Am 23. April 2020 hat ein besonderes Gerichtsverfahren vor dem OLG Koblenz begonnen: Im weltweit ersten Prozess gegen Mitglieder des Assad-Regimes müssen sich zwei Ex-Geheimdienstfunktionäre verantworten, die Menschen, die ein Leben in Würde, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit wollten, gefoltert, missbraucht und getötet haben sollen.

Auch wenn es in diesem Strafverfahren freilich vorrangig um die persönliche Schuld der Angeklagten geht, steht mehr auf dem Spiel – gerade in Deutschland. Denn mittelbar betrifft es auch einen Großteil der hier ansässigen Syrer*innen. Dieser international gelagerte, auf der Basis des Völkerstrafgesetzbuchs geführte Prozess, der nur wegen der Festnahme der Angeklagten auf deutschem Boden überhaupt in der Bundesrepublik stattfindet, verspricht lange zu dauern. Und so ist auch zu erwarten, dass über die Aufarbeitung der in Rede stehenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit lange und intensiv in den Medien informiert werden wird. Eine wohlüberlegte Form der Berichterstattung über die (einstweiligen) Ergebnisse des Verfahrens und über die Parteien wird dabei wichtig sein – insbesondere für die zukünftige allgemeine Wahrnehmung syrischer Geflüchteter.

 

Die allgemeine Rolle der Medien in der Demokratie

In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes kommt den Massenmedien als vierte, vermittelnde Gewalt für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung eine überragende Rolle zu. Sie sind es, die inmitten der vielen verschiedenen Ansichten im Diskurs Orientierung schaffen sollen, weshalb sie – über den einen oder anderen Weg – zur Meinungsvielfalt verpflichtet sind: Alle wesentlichen Gesichtspunkte zu Themen, die in der öffentlichen Auseinandersetzung behandelt werden, sind durch sie zusammenzutragen, damit der Gesellschaft auf dieser Grundlage ein ausgewogenes Bild von den (nicht unmittelbar erlebbaren) Geschehnissen vermittelt wird. Dabei sollen sie auch wertend zu den veröffentlichten Informationen Stellung nehmen und so gleichsam nicht nur „Medium“, sondern auch „Faktor“ des Willensbildungsprozesses sein.

In manchen Zusammenhängen können die durch Medienberichte vermittelten Wertungen weitreichende Folgen auf unsere Wahrnehmungen und Einschätzungen gewisser Personen oder Personengruppen haben, ja gar zu Vorbehalten und Vorurteilen ihnen gegenüber führen – ohne dass wir diesen Menschen je begegnet wären. Denn obwohl den „Mainstreammedien“ – jedenfalls nach der Einschätzung ihrer populistischen Kritiker – immer weniger Vertrauen zukommt, so bleiben doch die Bilder und Einschätzungen, die sie vermitteln, zentral für unsere Gedanken, Worte und Taten in Bezug auf die Gegenstände ihrer Berichterstattung.

 

Der Charakter einiger bisheriger Berichterstattungen über die „Flüchtlingskrise“

In deutschen Medien wird spätestens seit 2015 viel über Geflüchtete berichtet. Die Darstellung der Zugewanderten bleibt dabei oftmals unpersönlich: Wie eine Anfang des Jahres veröffentlichte Studie bestätigt, werden sie zumeist als anonyme Gesamtgruppe dargestellt – ohne dass Individuen zur Sprache kommen. In der konturlosen und oftmals metaphorisch umschriebenen Masse (Stichwort: Frames) wird somit leichter eine Bedrohung erblickt. Empathie erscheint gegenüber den Namenlosen unmöglich, vielmehr scheint Härte geboten, was die mit ihrer proklamierten Abwehrhaltung gegenüber Einwanderern aufstrebende AfD weiter beflügelt. Viele, insbesondere in den wirtschaftlich benachteiligten neuen Bundesländern, fühlen sich durch die Migrant*innen an den Rand gedrängt und ausgespielt. Wenn Medienberichte, wie in der Vergangenheit teilweise zu beobachten war, nicht deutlich machen, dass viele Geflüchtete eben gerade nicht einfach aus bloßer „Faulheit“ oder reiner „Lust auf mehr Luxus“ nach Deutschland gekommen sind, werden Wut und Diskriminierung gegenüber den marginalisierten Personengruppen einfacher.

 

Wie weiter…?

Durch die „Vermassung“ der Geflüchteten in Folge der nicht auf die Persönlichkeit und Würde des Individuums fokussierten Berichterstattung haben manche deutsche Medienformate genug Schaden angerichtet, um sich jetzt zu einem kurzen Innehalten angeregt zu fühlen – die politischen Fronten in Deutschland sind verhärtet genug – und sich dadurch Gelegenheit zu verschaffen, um über die folgenden zwei Fragen nachzusinnen: Welche konkrete Chance birgt eine sorgfältige und inhaltlich ausgewogene Darstellungskultur der Geflüchteten, die an dem nun beginnenden Prozess mitwirken? Und außerdem: Was steht auf dem Spiel, wenn nun breitenwirksam unbedacht über die Syrer*innen im OLG-Koblenz-Verfahren erzählt wird?

 

1.     Sensibilisierende Berichterstattung als Chance

Zunächst zur sich bei einer achtsamen Berichterstattung eröffnenden Chance: Schon zu Beginn des Prozesses scheint festzustehen, dass im Verlauf der Aufarbeitung der zur Anklage gebrachten Taten Informationen über die grausamen Methoden ans Licht kommen werden, mit denen in Syrien seit vielen Jahren die Loyalität der Bürger*innen durch gewaltsame Unterdrückung erzwungen wird. Das Beweismaterial, zu dem etwa Aufnahmen gehören sollen, auf denen die geschundenen Körper von mehr als 6000 getöteten Gefangenen zu sehen sind, vermag als solches bereits Empathie für die Lebenssituation syrischer Geflüchteter zu wecken. Wenn dann durch Journalisten aufgegriffen würde, welches Ausmaß der Folterapparat in der Assad-Regierung hatte, könnte das zur Sensibilisierung jedenfalls von Teilen der deutschen Gesellschaft führen: Denn Flüchtlinge können in diesem Zusammenhang als Menschen in fühlbaren Problemlagen wahrgenommen werden, denen Schlimmes widerfahren ist oder zumindest drohte. Gerade vor diesem Hintergrund wird verständlicher, warum viele ihr Zuhause verlassen haben – es waren bei zahlreichen Syrer*innen existenzielle Ängste, die sie aus ihrer Heimat trieben.

Durch Berichte über das wohl bald mehr und mehr offenbarwerdende Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen in Syrien könnten die Medien als „Stimme der Stimmlosen“ der in manchen Kreisen verbreiteten Verständnislosigkeit und Wut entgegenwirken, die den Geflüchteten bislang – in ihrer insbesondere durch einige Medien vermittelten gefühlstauben „Statistenrolle“ – in Deutschland entgegenschlägt. (Literarische Aufarbeitungen der Erfahrungen in syrischen Gefängnissen haben bisher keine große Beachtung gefunden.)

Die Ergebnisse der ersten rechtlichen Untersuchungen syrischer Staatsfolter könnten auf diese Weise – medial angemessen aufbereitet – integrativ wirken, also die Annäherung zwischen der einheimischen Gesellschaft und den noch einzubindenden (syrischen) Geflüchteten in Deutschland fördern.

Das wäre insbesondere angesichts des bisweilen nicht wirklich seiner Wortbedeutung entsprechenden Integrationsrechts in Deutschland eine interessante Wendung. Weite Teile der gesetzlichen Regelungen, die nach ihrer Bezeichnung und ihrem (scheinbaren) Zweck „Integration“ – also Zusammenführung der sozialen Gruppen der bereits Beheimateten und der Zugewanderten – bewirken sollen, legen oft im Schwerpunkt Pflichten für die Einwanderer zur einseitigen Anpassung an die Aufnahmegesellschaft fest, deren Umsetzung dann erwartet wird (Stichwort: einseitige Assimilationserwartung), was durch das vermittelte Stufenverhältnis der Kulturen eher ausgrenzend und isolierend, aber nicht integrierend wirkt (vgl. nur Heckmann, Integration von Migranten, 2015, S. 177, 204, 225).

Hier könnte nun also einem Strafverfahren, wenn es mit Bedacht an die Öffentlichkeit getragen wird, ganz unerwartet und nebenbei ein außergewöhnlich integratives Potenzial zukommen. Dies vermag vor allem vor dem Hintergrund der allzu großzügigen Bewertung des Bayerischen Integrationsgesetzes durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof im letzten Dezember erfreuen, die bereits den Eindruck vermitteln konnte, dass eine „Leitkultur“-Vorgabe das integrative Maß der Dinge bliebe (ZAR 2020, S. 36 ff.).

 

2.     Unbedachte bzw. zu einseitige Berichterstattung als Gefahr

Auf der anderen Seite droht eine sorglose bzw. zu einseitige und unausgewogene Berichterstattung die Chance der Sensibilisierung für die Einzelschicksale der Geflüchteten zu versäumen und könnte bestehende Vorurteile vielleicht sogar weiter verhärten.

Bekanntermaßen sind auch die Angeklagten Geflüchtete, die ihren Weg nach Deutschland gefunden haben. Eine mediale (Klatsch-Presse-)Fokussierung auf die Tatsache, dass zwei – mutmaßliche – Schwerverbrecher durch den Staat aufgenommen wurden, könnte nicht nur den in Flüchtlingsfragen sehr schnell wutentbrannten AfD-Anhängern frischen Wind in die Segel blasen. Auch die bereits durch das Netz kursierenden zahlreichen Beschuldigungen von Geflüchteten als (aus ihrem eigenen Heimatsystem entkommene) ehemalige Täter könnten empfindlich angepeitscht werden, was am Ende des Tages nur das Gros der Unschuldigen zu büßen hätte.

Sicherlich ist die Aufnahme von vermeintlichen Übeltätern ein Thema, das eine – erneute – öffentliche Diskussion verdient. Doch wenn sie aus dem in Koblenz anhängigen Verfahren (neue) Impulse erhalten sollte, dann müssten zumindest auch die Relationen und die Folgen einer unbedachten Handhabung der Problematik für die in Deutschland ansässigen Einwanderer vor Augen bleiben.

Zu bedenken bleibt in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass eine übertriebene und zu einseitige Parteiergreifung für Geflüchtete in Deutschland der „Lügenpresse“ – und dann schließlich auch den Geflüchteten – ebenso zum Verhängnis werden könnte. Worauf es ankommen wird, ist (wie immer) Ausgewogenheit der Berichterstattung.

 

Fazit und Ausblick

Die Medien sind im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung – auch wenn er die Integration berührt – (staats-)frei. Nach dem früheren Art. 11 Satz 1 des Bayerischen Integrationsgesetzes etwa sollte der Bayerische Rundfunk die Integration „unterstützen“. Diese Vorschrift wurde durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof (zu dem Urteil schon oben IV.1.) völlig zurecht für verfassungswidrig und deshalb nichtig erklärt: Nur in Freiheit können Medien ihrer demokratischen Mittlerfunktion gerecht werden. Das ist gut so und soll hier auch nicht in Abrede gestellt werden.

In der modernen Aufmerksamkeitsökonomie scheint aber leider der demokratische Auftrag der Medien einigen journalistischen Akteuren allzu oft nicht mehr genug zu bedeuten, um aktiv zu berücksichtigen, dass in einem emotional aufgepeitschten Bereich wie der deutschen „Flüchtlingskrise“ (im weiteren Sinne) die Berichterstattung über geflüchtete Menschen polarisierend wirken kann – mit konkreten und dauerhaften Folgen für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt und die verstärkt von Anfeindungen betroffenen Migrant*innen, die in Deutschland Anschluss und vielfach auch eine neue Heimat suchen.

Es muss sich ja nun nicht gleich der in Art. 11 Satz 1 BayIntG a.F. formulierte Wunsch erfüllen, zumindest jedoch die tatsächliche gesellschaftliche Einbindung der syrischen Einwanderer sollte durch unbedachte Berichterstattung nicht unnötig weiter erschwert werden.

 

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